Seit die Welt besteht, versuchen immer wieder Menschen, okkulte Energien zu meistern, weil sie hoffen, Phänomene hervorzurufen, die ihren Wünschen entsprechen.

Im Laufe der Jahrhunderte bildeten sich geheime Gesellschaften, Sekten und Orden, die viele Anhänger fanden, weil diese annahmen, daß Rituale nicht nur Wahrnehmungsfähigkeiten stärken, sondern auch zur Ausübung der operativen Magie notwendig sind.

Magie
im Rhythmus unserer Zeit

Frédéric Lionel

Rituale sollten ebenfalls das psychische Gleichgewicht der Geheimwissenschaftler bewahren, denn die angeblichen oder wirklichen Meister der magischen Künste waren sich bewusst, dass das Eindringen in die Arkane einer unbekannten Dimension unseres Universums gefährlich sei.

In ihr schwingen, pulsieren und strahlen Kräfte, die göttlich oder dämonisch wirken, je nachdem, wie sie angewandt werden. Eine wahre innere Reife ist unerlässlich, um kein Zauberlehrling zu sein, der Opfer seiner Unvernunft oder seiner Neugier wird. Sowohl die operative wie auch die zeremonielle Magie versucht, unsichtbare und zumeist unbekannte Energien zu meistern. So stellt sich unmittelbar das Problem von Gut und Böse.

Beide Begriffe zu transzendieren, um jenseits aller mentalen Bedingtheiten zu einem Überbewusstsein zu gelangen, ermöglichte es, so meinten die Anhänger der Magie, Wunder zu vollbringen. Dies wurde umso fester als Tatsache angesehen, als angeblich von seinerzeitigen Weisen übermittelte Lehren, das Bindeglied von Orden oder Gemeinschaften bildeten, die an ihre Unfehlbarkeit glaubten.

Selbstverständlich waren gewisse Praktiken nicht nur abwegig, sondern auch frevelhaft, was zum schlechten Ruf der Magie beitrug. Zu behaupten, überweltliche Kräfte anzurufen, Verbindungen zu Verstorbenen herzustellen, Dämonen zu bändigen und Wesenheiten zu meistern, erklärt die Anziehungskraft, die damals wie heute die Erkundung der okkulten Dimension der Welt ausmacht.

Der Mensch träumt gerne. Er sucht, sich zu übersteigen, den Tod besiegen zu können oder einfacher, zu einer übermentalen Sicht der Dinge des Lebens zu gelangen.

Die Magie ist eine initiatische Wissenschaft, da sie sich auf die tatsächliche oder angebliche Erkenntnis der verborgenen Gesetze der Natur stützt. Sie schien und scheint einen doppelten Vorteil zu bieten: einerseits das Privileg zu vermitteln, über eine aussergewöhnliche Fähigkeit zu verfügen, andererseits ein Weg der Erkenntnis zu sein. Er ähnelt wesentlich dem tibetanischen Yoga, welcher ein magisches Exerzitium ist. Im Sinne der buddhistischen Lehre soll Yoga das Loslassen aller Wünsche und somit aller Begrenzungen ermöglichen, um die Erleuchtung herbeizuführen.

Jeder Gedanke, jedes Wort, jede Geste, wie auch jede Handlung strahlt Energien aus, und ihre Schwingungen ändern, wenn auch unwahrnehmbar, das dynamische Kraftfeld des gesamten Universums. Somit sind wir alle Magier, da unsere Initiativen vorhersehbare oder unvorhersehbare folgen nach sich ziehen. Diese Tatsache entgeht unserer Sicht und so rufen wir den Zufall an, ungewahr unserer eigenen Verantwortung.

Die stete Angst vor morgen behindert unser Verständnis und wird so zu einem wesentlichen Stützpunkt der Magie auf allen Ebenen ihrer Wirkungskraft. Diese Tatsache kennzeichnet die sogenannte schwarze Magie, die den eigenen Vorteil auf Kosten anderer sucht. Um diese anderen gefügig oder verwundbar zu machen, ist Angst der unerlässliche Ausgangspunkt. Sie zu erzeugen und zu nutzen, bedingt die Kenntnis der Gesetze der Lebensrhythmen und somit die Erkenntnis der Gesetze aller Rhythmen auf den physischen, psychologischen und sonstigen Ebenen.

Ursprünglich war, im wahren Sinne des Wortes, die Magie die Wissenschaft der Wissenschaften und somit eigentlich eine Theurgie und daher die Wissenschaft des Wunderbaren wie auch die Kunst, Wunder zu vollbringen.

Dieser Feststellung mag man hinzufügen, dass die Theurgie Andacht erzeugt, die einer Ekstase nahekommt und daher zu einem anderen Da-Seinszustand führt. Jedes Individuum spielt, oftmals unbewusst, auf der Klaviatur unwahrnehmbarer Kräfte der Natur, und so müsste Magie im Rhythmus unserer Zeit besser erkannt werden.

Da Angst wahre Einsicht verhindert und unser psychisches Universum verwundbar macht, soll dieses Phänomen besonders beleuchtet werden und sei es nur, um nicht dem Willen eines böswilligen Magiers zu verfallen.

Der Leser, der die Arkane der Wissenschaft der Wissenschaften betritt, wird vielleicht unerwartete Entdeckungen machen. Er mag sich erstaunen zuzugeben, in einem magischen Universum zu leben, was ihn veranlassen sollte, nur wohltuende Magie zu üben, jene, die den Gesetzen des Lebens entspricht, also dem Gesetz der Harmonie. Weisse Magie und weise Magie sind demnach in ihrer Wirkungsweise identisch.


Frédéric Lionel wurde 1908 geboren und studierte zunächst Kybernetik. Während der Besetzung Frankreichs war er als britischer Offizier in der "Festung Europas" humanitär im Untergrund tätig. Zahlreiche Schlüsselerlebnisse in dieser gefährlichen und deshalb das Bewusstsein schärfenden Zeit sollten für sein weiteres Leben von nachhaltiger Bedeutung werden. Nach Kriegsende wandte er sich dem Studium der Philosophie zu und veranstaltete vielbeachtete Seminare. Er setzte sich mit östlicher, aber vor allem mit westlicher Geistestradition auseinander, um eine neue Weltsicht zu finden, die dem gewandelten Weltgeist gerecht wird.
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Auszüge aus dem Buch:
Magie im Rhythmus unserer Zeit
Frédéric Lionel, Param Verlag

 

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