Er wird als Sage, als Legende, als Phantasie, als Einweihung, als Geschichte mit teilweise geschichtlichem Hintergrund oder als die Botschaft Gottes an die Menschen begriffen, je nachdem, von welcher Art von Menschen er betrachtet wird.

Das Geheimnis
vom Heiligen Gral

und die Botschaft vom fünffältigen Pfad

Werner Metzger

 

Der heilige Gral, und was immer man darunter verstehen mag, geistert seit Jahrtausenden durch die Menschheitsgeschichte. Einmal klarer und einmal weniger klar tritt er hier und dort in Erzählungen, in der Dichtkunst, in der Malerei, in der Musik, in der Baukunst usw. in Erscheinung.

Er wird als Sage, als Legende, als Phantasie, als Einweihung, als Geschichte mit teilweise geschichtlichem Hintergrund oder als die Botschaft Gottes an die Menschen begriffen, je nachdem, von welcher Art von Menschen er betrachtet wird.

Es sind vergleichsweise nur wenige Menschen, die in den vergangenen Jahrhunderten den Gral gesucht haben, noch weniger sind es, die versucht haben, ihn zu verwirklichen und die wenigsten haben ihn verkündet. Trotzdem ist das Wissen vom hl. Gral niemals ganz aus dem Bewußtsein der Menschheit getilgt worden, einfach deshalb, weil es immer wieder Offenbarungen des Göttlichen über den Gral durch begnadete Menschen gegeben hat.

Die Auslegung der Gralsgeschichte und die Art und Weise ihrer Offenbarungen waren immer auch von den Zeitumständen abhängig, denn sie bestimmen das Verständnis der Menschen und die Art und Weise der Offenbarungen. Jahrhundertelang rätselten die Menschen - veranlaßt auch durch die Dichtung Wolfram von Eschen- bachs: "Parsival" - wo der hl. Gral, der physische Aufenthaltsort der Ritter vom hl. Gral, der Edlen, der Auserwählten, der berufenen Hüter des hl. Grals, sei. Die historische Spur führt schließlich nach Persien, dem Ursprungsland der Parsen, deren Religionsstifter Zarathustra (vermutlich ca. 600 v. Chr.) war. Die Parsen, indisch: "Parsi" genannt, verehren in höchstem Maße das Feuer, dem sie sich nur nach zeremonieller Reinigung und mit größter Hochachtung nähern, um es im Ritual bei feierlichen Anlässen als die Gegenwart Gottes zu verehren.

Im frühen Mittelalter war die Lehre des ebenfalls persischen Religionsstifters Mani (216 - 277 n. Chr.) bis nach Europa vorgedrungen und hatte sich nach dessen Tod zu einer Weltreligion entwickelt. Durch Offenbarungen, die ihm ein "König des Lichtparadieses" überbrachte, wurde er zur Verkündung einer neuen Botschaft veranlaßt. Der Manichäismus besaß im Frühmittelalter zahlreiche Anhänger im Mittelmeerraum und im fernen Osten. Mit der Verkündung des Lichtparadieses, dessen König der Herrscher des Lichtreiches war, verband sich die Vorstellung vom hl. Gral. Von diesem Reich des Lichtes wurden Engel ausgesandt, um den Menschen Botschaften in Form von Offenbarungen zu bringen.

 

In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, daß die Tradition der Verehrung des Feuers und des Lichts bzw. der Sonne im persischen Raum einschließlich der heutigen kaukasischen Länder am Kaspischen Meer historisch nachweisbar ist. Gibt es doch in Aserbeidschan, im Nordwesten von Persien, Reste eines Feuertempels, in Baku ein Museum, das einen Feuertempel und die Verehrung des Feuers durch sogenannte dunkelhäutige Feueryogis zeigt, und in Tiflis gibt es einen gut erhaltenen Sonnentempel.

In seiner Gralsdichtung "Parsival" hat Wolfram von Eschenbach die Lehren von Zarathustra und Mani aufgegriffen und diese Gedanken mit der europäischen Wirklichkeit des frühen Mittelalters verbunden und zu einer bis auf den heutigen Tag lebendigen Gralsgeschichte gemacht. Dies ist schon an der Namensgebung für den Helden der Geschichte, den PARSIVAL ersichtlich : "PARSI" ist ein Anhänger der Lehre von Zarathustra, und "FAL" bezieht sich auf den "Stone von Fall", einem Wahrzeichen der Herrscherwürde der irischen Könige. Wolfram von Eschenbach läßt "Parsifal" zum Gottsucher werden, der schließlich nach vielen Erlebnissen und Abenteuern vom völlig unwissenden Menschen zum Auserwählten wird, der in den Kreis der Gralshüter aufgenommen, ja zum Gralskönig wird. Das Epos endet mit den Worten:

"Wer sein Leben so beendet, daß er die Gnade Gottes nicht durch Hingabe an die Lust der Welt verloren, dabei aber auch sich in der Welt bewährt hat, der hat recht gelebt."


Die Bedeutung des Heiligen Grals

Das Wort GRAL kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: Schale, Topf, Becher, Kelch oder Stufengefäß, also Behältnisse, in die etwas hineingetan werden kann. Gefäße sind Gegenstände, die für häusliche, berufliche oder sakrale Zwecke verwendet werden können. Ein Gefäß ist eine Urform, der wir in der Natur auf Schritt und Tritt begegnen: im Blütenkelch, in der Bodensenke, bei der Gebärmutter usw.

Bei sakralen Handlungen wird der Geist Gottes in den Becher, den Kelch oder die Schale herbeigefleht, damit dieser den Inhalt und den daraus Trinkenden mit dem Geist Gottes erfülle. Vgl. hierzu die Eucharistie. So hat der Gral von Anfang an die Bedeutung eines Lebensspenders, eines Glückbringers, also etwas, das Wohlbefinden in weltlichen und geistigen Dingen verschafft. Doch das Gefäß allein vermag die dem hl. Gral zugeschriebenen Wirkungen nicht zu bringen. Das Gefäß ist nur Mittel zum Zweck.

 

Neben der Vorstellung von einem Gefäß mit glücklich- bzw. seligmachender Wirkung ist mit dem hl. Gral die Vorstellung von erhabenen, erleuchteten Wesen verbunden, die die Beschützer, die Hüter des hl. Gefäßes sind. Es sind lichte, sonnenhafte Wesen, die die Suche nach dem hl. Gral beendet und sich in der Welt bewährt haben, indem sie alle guten menschlichen Tugenden in sich verwirklicht und an ihren Mitmenschen erprobt haben, während sie unter ihren Zeitgenossen lebten.

Aus dem Kreis der Hüter des hl. Grals wird zu gegebener Zeit, die von der Menschheitsentwicklung und den Zuständen auf der Erde abhängt, ein Mitglied zur Inkarnation auf die Erde gesandt, um da mit Hilfe einer Botschaft den Menschen den rechten Weg zur "Gralsburg", zur "Gralsritterschaft" zu zeigen, was schließlich jedem Menschen in die Wiege gelegt wurde. Dies geschieht immer dann, wenn die Zustände sich sehr stark zum Schlechten, zum Negativen, verändert haben, und die Menschen den Sinn ihres Lebens nicht mehr erkennen und nach dessen Verwirklichung streben. Solche Verkünder des hl. Grals, solche Gralsboten, waren u.a. Krischna, Buddha, Zarathustra, Mani, Moses, Abraham, Jesus Christus, Mohammed und viele andere bekannte und unbekannte Personen


Die Botschaft vom fünfältigen Pfad

(Der Autor führt die Idee eines heiligen Gefäßes, die in Verbindung mit dem sakralen Feuer steht, zu einer noch älteren Quelle zurück. In den Heiligen Schriften der Inder, den Weden, ist die Lehre von einem "Fünffältigen Pfad" zu lesen. Der erste Teil ist eine symbolische Feuer-Zeremonie, "Agnihotra" genannt (agni = Feuer, hotra =Opfer), wobei ein heiliges Gefäß eine Rolle spielt. Die anderen Teile des Pfades sind rein spirituelle Diszipline).

Aus den Weden, der ältesten, den Menschen bekannten Offenbarung, ist uns der 'Fünffältige Pfad' formuliert worden, der die kürzeste Zusammenfassung wedischer Weisheit in fünf Punkten bringt.

Der erste Punkt heißt 'AGNIHOTRA'. Es ist ein auf höchster Ebene wirkender psycho-physischer Vorgang, durch den das menschliche Gemüt verfeinert wird, wodurch die Leidenschaften des Gemüts immer schwächer werden, bis sie letztlich so weit transformiert sind, daß der Mensch in allen Lebenslagen mit Liebe reagieren kann.

'Agnihotra' ist die kürzeste Form eines Feuer-opfers, durch das eine geringe Menge von Nahrung in Form von natürlich belassenem Reis verbrannt und somit dem Energiekreislauf zurückgegeben wird.

Zur Praxis von 'Agnihotra' muß ein nach Größe und Form vorgeschriebenes Stufengefäß - das Gralsgefäß - von der Form eines Pyramidenstumpfes verwendet werden. Das pyramidenförmige Agnihotragefäß besitzt in Verbindung mit der Praxis von Agnihotra bei Sonnenaufgang und bei Sonnenuntergang die der Vorstellung vom hl. Gral zugeschriebenen Wirkungen: Es macht vor Gott und den Menschen gerecht, indem es die Atmospäre reinigt, was wiederum eine reinigende Wirkung auf das menschliche Gemüt hat, wodurch die negativen Eigenschaften abnehmen und der Mensch ein von Leidenschaften freies Leben führen kann.

In den Upanischaden, die zu den Weden gerechnet wird, lesen wir:

"Wenn einer abends nach Sonnenuntergang zwei Spenden opfert, ... und wenn er früh nach Sonnenaufgang zwei Spenden opfert, dann nimmt er ... einen festen Stand. Und wenn die Sonne aufgeht, geht sie mit ihm auf, und er befreit sich vom Tode. Das ist die Befreiung vom Tode beim Agnihotra."

 

Als begleitende Disziplinen sollten die nächsten vier Punkte, nämlich 'DAAN', 'TAPA', 'KARMA' und 'SWADHYAYA' praktiziert werden.

Die Praxis von 'Daan' sieht so aus, daß man einen Teil seiner materiellen Güter im Geiste der Demut einem Menschen zukommen läßt der sie benötigt und womit man ihm eine Freude bereiten kann. Das kann ein armer oder ein reicher Mensch sein. Die Gabe muß ein materielles Opfer darstellen, denn es soll dazu beitragen, daß die Gemütsleidenschaften - nämlich Verhaftung und Gier - verringert werden. Die Praxis von 'Daan' muß zur regelmäßigen Gewohnheit werden und darf nur Menschen gegenüber praktiziert werden, die die Gabe nicht zur Ausübung eines Lasters (z.B. Alkohol- oder Nikotinkonsum, usw.) verwenden. Die uns bekannte Kirchensteuer ist kein 'Daan' im eigentlichen Sinne, weil sie anonym und ohne innere Beteiligung des Gemüts vom Finanzamt eingezogen wird.

Der dritte Punkt heißt 'Tapa' und bezieht sich auf die Reduzierung aller sinnlichen Bedürfnisse, sofern sie das Gemüt betreffen. 'Tapa' bedeutet Selbstdisziplin hinsichtlich Wollust, Neid, Gier, Verhaftung, Stolz, Haß, Eifersucht etc. so wie Herrschaft über Appetit und Rede. Die Praxis von 'Tapa' ist der Schlüssel um Verminderung von eigenem und fremdem Leid und für die Überwindung der Sklaverei durch die Sinne.

Der vierte Punkt heißt 'Karma' und bedeutet rechtes Handeln ohne an den Früchten des Handelns zu hängen. Man tut Gutes, ohne Dank und Anerkennung zu erwarten.

Der fünfte Punkt heißt 'Swadhyaya' und bedeutet "Studium des Selbst". Ziel der Praxis von 'Swadhyaya' ist die Erkenntnis des Selbst, also die Erkenntnis, daß GOTT das eigene Selbst, das ICH ist, und daß ER im Herzen der Menschen wohnt. Das Selbst, das ICH, ist individualisierte GOTTHEIT, ist GOTT. Aufgabe und Ziel wahrer Religion ist es, beim einzelnen Menschen die Erkenntnis herbeizuführen, daß er nicht von GOTT getrennt, sondern eins mit IHM ist. Alles andere hat mit Religion im wissenschaftlichen Sinne nichts bzw. wenig zu tun.

Wenn die Suche nach dem hl. Gral schließlich zur Praxis von 'Agnihotra' geführt hat, und wenn der Gralssucher sich darum bemüht, im täglichen Leben die anderen vier Punkte des 'Fünffältigen Pfades' nach bestem Wissen und Gewissen zu praktizieren, dann wird er zum "Gralsritter", d.h. er sieht in allem das Wirken Gottes und wird in liebender Hinwendung zum Beschützer von Natur und Kreatur.

Eines Tages wird er "Gralskönig" werden, d.h. zu einem Lichtwesen aufsteigen, das den Kreislauf von Geburt und Tod überschritten und also karmalos nicht mehr auf dieser Erde zu inkarnieren braucht. Dieser Mensch hat Selbsterkenntnis erreicht. Er kann dann dereinst auf weisen Ratschluß der Gralshierarchie als Gralsbote zur Erde gesandt werden, um die Botschaft vom hl. Gral den Menschen in der der Zeit und den Umständen angemessenen Weise zu verkünden, auf daß der hl. Gral nicht verloren geht und die Menschen sich gemäß ihrer Bestimmung aus der materiellen Bindung erlösen können, um Gottmenschen zu werden.

 

aus: Werner Metzger
"Geistige Orientierung in orientierungsloser Zeit"
Über den Sinn des Lebens und wie dieser zu verwirklichen ist

Herausgeber:
Kriya-Yoga-Schule FÜNFFÄLTIGER PFAD e.V.
D-78234 Engen-Bittelbrunn, Friedhofstraße 4

 

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