"Um Gesundheit und Krankheit in einem erweiterten Sinne verstehen zu lernen, wollen wir über den sichtbaren Körper hinaus auch die unsichtbaren Glieder der menschlichen Wesenheit kennenlernen und versuchen, ihre Sprache zu deuten, mit der sie unentwegt in die körperlichen Vorgänge hineinwirken. Denn so, wie die Hand zum Arm gehört und der Arm wiederum ein Glied des ganzen Körpers ist, kann auch der Körper selbst erst als ein Glied oder Teil des Menschen betrachtet werden."

Rudolf Steiner

Die Entwicklungsphasen
des Menschen

auf Grundlage der menschenkundlichen
Betrachtungen der Anthroposophie

 

Das antroposophische Menschenbild spricht von vier Wesensgliedern des Menschen:
- Physischer Leib. Das ist der Körper des Menschen. Er ist aufgebaut aus den Stoffen der Erde. Alles Materielle zählt dazu - alles was nach Maß, Zahl und Gewicht definiert und analysiert werden kann. Draußen in der Natur gleicht das Mineral dieser Daseinsstufe.

- Ätherleib. Er wacht darüber, daß der physische Leib nicht zerfällt. Weil er dem Körper die Lebendigkeit verleiht, wird er auch Lebensleib genannt. Ebenso trifft die Bezeichnung Bildekräfteleib zu. Er beinhaltet die aufbauenden Stoffwechselprozesse.

Das Element des Lebensleibes ist das Flüssige, das Wasser. Die Gesetzmäßigkeiten, die hier herrschen, sind die gleichen, wie wir sie im Pflanzenreich vorfinden.

-Astralleib. Er wirkt im "Luftelement". Er bedingt die Durchseelung des Organismus. Gefühle sind beispielsweise ein Ausdruck des Astralleibs. Er bewegt das Wäßrige im Menschen, wie der Wind das Meer. Dadurch, daß der Mensch einen Astralleib hat, ist er den Tieren verwandt.

-Ich. Das Ich ist das spezifisch menschliche Wesensglied. Es ermöglicht im Denken Selbstbewußtsein und gestaltend in die Umwelt einzugreifen. Es ist als viertes Wesensglied über die drei anderen gesetzt und soll sie mehr und mehr verwandeln.

Krankheit als Disharmonie der Wesensglieder

Beim gesunden Menschen klingen die vier Wesensglieder wie die Saiten eines gut gestimmten Instrumentes, und jeder einzelne Mensch hat ein individuelles Zusammenspiel seiner Wesensglieder. Geraten sie dagegen aus dem Gleichgewicht, dann äußert sich dies als Erkrankung. Ebenso ist zu berücksichtigen, daß das Gefüge der Wesensglieder im Laufe des Lebens einer inneren Dynamik unterliegt. Ihr Verhältnis zueinander ändert sich, und dies kann zu besonderen Krisen und/oder krankheitsanfälligen Phasen führen.

Die vier Wesensglieder und das Wachstum des Menschen

Rudolf Steiner hat durch seine menschenkundlichen Betrachtungen Meilensteine gesetzt, die für das Erkennen der kindlichen Entwicklungsabschnitte eine Hilfe sind.
So hat er gezeigt, daß in den ersten sieben Jahren (im ersten Jahrsiebt) noch alle Wesensglieder im physischen Leibe, das heißt praktisch im Aufbau des Körpers, tätig sind. In diesen Jahren baut der Lebensleib unermüdlich nach dem Willen der höheren Wesensglieder am Körper. Viele Kinderkrankheiten tauchen dort auf, wo der Lebensleib behindert ist, am physischen Leib zu arbeiten. Wenn z. B. ein schwächliches blasses Vorschulkind Keuchhusten bekommt, so rütteln die Hustenstöße an allen Organen, und alle Kräfte sind aufgerufen, die Lunge zur Entfaltung zu bringen, während anderes solange in den Hintergrund treten muß.
Manchmal werden also übergangene Entwicklungsschritte "krankheitsmäßig" nachgeholt.

Die erste vier Jahrsiebte

Wenn ein Kind, nach R. Steiner, zu früh lesen und schreiben lernt, braucht es dazu Kräfte, die eigentlich noch an seinen Organen arbeiten sollten. Erst wenn das Blut seine Bahnen in den Körper "geschrieben" hat, werden Bildekräfte für entsprechende Aufgaben im Seelischen frei. Dann ist es für die Hand an der Zeit, fließend schreiben zu lernen. So geht es nicht darum, ob das 3jährige Kind tatsächlich schon fähig ist, Schreiben und Lesen zu lernen - es wäre dazu fähig -sondern ob es hinsichtlich seiner Entwicklung die rechte Zeit ist.

Erst gegen Ende des 1. Jahrsiebts haben die Bildekräfte des Lebensleibs den physischen Körper soweit aufgebaut, daß sie sich langsam zurückziehen.

Der Zahnwechsel ist ein Zeichen dafür, daß die Bildekräfte für neue Aufgaben im Seelischen frei geworden sind. Jetzt ist das Kind schulreif. Die Bildekräfte suchen nun nach seelischen Inhalten und wollen belehrt werden.

Je mehr ein Kind seine Lehrer liebt, desto williger läßt es sich von ihnen die Seelenwelt erschließen. Alles, was im 1. Jahrsiebt Ungünstiges nachgeahmt wurde, läßt sich im 2. Jahrsiebt noch in nützliche Eigenschaften verwandeln. Hat das Kind beispielsweise Ängstlichkeit nachgeahmt, so kann es jetzt zur Besonnenheit erzogen werden. Für Umwandlungen dieser Art ist das 2. Jahrsiebt das wichtigste!

Im 3. Jahrsiebt erwacht das eigene Seelische, das nun nach und nach die Führung des Lebensleibes selber übernehmen will. Von da an will der junge Mensch aus eigener Einsicht handeln und weniger aus Liebe zu einer Autorität.

In diesem Alter beginnt das Nachdenken.

Im Laufe dieses Jahrsiebtes haben die Gliedmaßen ihre endgültige Länge erreicht. Das wiederum hat eine große Bedeutung für das Seelische. Denn was tut der Mensch mit seinen Armen? Austeilen, verteilen, mitteilen. Die Arme werden zur leiblichen Grundlage für die seelische Fähigkeit zu ur-teilen.

Im 4. Jahrsiebt ereignet sich die Geburt des Ich, das sich als jüngstes Wesensglied aus dem Astralleib herauslösen wird.

Hier ein zusammenfassendes Beispiel:

Erstes Jahrsiebt: Die Mutter sieht eine Maus und schreit "iii": Ein Weilchen später erbricht der Säugling.

Zweites Jahrsiebt: Die geliebte Autorität züchtet Mäuse. Das Kind wünscht sich zwei Mäuse zum Geburtstag.

Drittes Jahrsiebt: Der junge Mensch bewundert die Mäusezucht, fände es aber artgemäßer, wenn die Mäuse, statt im Laufrad, frei im Keller laufen dürften.

Viertes Jahrsiebt: er faßt den Entschluß, Mitglied im Tierschutzverein zu werden.


Selbsterziehung der Erwachsenen -
die beste Heilmethode für Kleinkinder

Besonders bei kranken Kleinkindern ist zu berücksichtigen: Im ersten Jahrsiebt ahmt das Kind alles nach, was in seiner Umwelt geschieht. Da aber alle Kräfte im physischen Leibe tätig sind, findet diese Nachahmung im Leiblichen statt. Das heißt, allem, was es mit seinen Sinnen wahrnimmt, entspricht ein Stoffwechselvorgang, durch welchen es seinen Körper aufbaut. Erlebt es beispielsweise im moralischen Umfeld Unwahrheiten, bildet es Verdauungsorgane, in welchen unvollkommene Stoffwechselvorgänge ablaufen.

Das in der Nachahmung lebende Kleinkind kann keine Auswahl treffen hinsichtlich dessen, was es nachahmt. Sagt ein Vorbild mehrmals täglich: "Dazu hab ich keine Lust", dann bildet das Kind Organe aus, die auch "keine Lust haben" und später dazu neigen können, das, was als Anforderung auf sie zukommt, allergisch abzuwehren.

Im Hinblick darauf, daß also im 1. Jahrsiebt das Seelische der unmittelbaren Umgebung organbildend wirkt, ist es immer wieder notwendig, auch auf das Seelisch-Moralische hinzuweisen, das einer Krankheit zugrunde liegen könnte.

Daher gibt es für ein Kleinkind keine bessere Erziehungsmethode und keine bessere Heilmethode als die Selbsterziehung der Erwachsenen (gelebtes Vorbild).

Dieser Nachahmungsprozeß kann anhand eines tatsächlichen Krankheitsbildes illustriert werden. z.B. Neurodermitis:

Hier juckt und rötet sich die Haut. Das Kind fängt an sie aufzukratzen, bis blutige, nässende Wunden entstanden sind. Dann hat es eine Weile Ruhe. Die offenen Wunden rufen Heilkräfte auf, und bald beginnen feste Teilchen dorthin zu strömen, um sie zu schließen. Dann aber kehrt der Juckreiz zurück, und alles beginnt von vorne.

Bei der Neurodermitis ist der Fluß von Körpersäften zur Haut gesteigert.Vielleicht ist das schon ein Anfang der Heilung. Denn der Körper läßt Wäßriges dahin fließen, wo etwas gelöst werden soll.

Wenn ein Kleinkind sich immerzu die Haut aufkratzt, als ob es aus ihr herausschlüpfen wollte, ergeht es nicht selten einem Vorbild (z. B. Elternteil) im Seelischen so.

Tiere, die auf zu engem Raum miteinander leben müssen, beginnen sich selbst zu beißen. Doch das Tier muß sich entsprechend verhalten, der Mensch jedoch kann entweder seine Situation ändern, oder das, was sich zunächst nicht ändern läßt, freiwillig als Aufgabe betrachten, um daran zu lernen. Es geht beispielsweise darum, sich durch eine Auseinandersetzung mit dem Nachbarn nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen - im Gleichgewicht zu sein, ist eine Frage der Balance und hat nichts mit Gleichgültigkeit zu tun. Wer innerlich so viel an sich gearbeitet hat, daß er fähig ist, mitten im Tohuwabohu eine Grenze um sich zu ziehen, die unverletzlich ist, hilft der Haut des kleinen Kindes eine unverletzliche Hülle zu werden.


Umgang mit Allergien

Im Frühjahr beginnt die Heuschnupfenzeit. Verquollene, juckende Nasen- und rachenschleimhäute stehen im Mittelpunkt der körperlichen Erscheinungen. Auch die Bindehäute der Augen können entzündet sein und jucken.

Wenn der Körper immerzu die "Nase voll hat", sind Entsprechungen im Seelischen beispielsweise Lustlosigkeit oder die mangelnde Fähigkeit, für etwas "einen guten Riecher" zu haben.

Desensibilisieren allein genügt nicht

Ziel der häufig angewandten Desensibilisierung ist es, den Körper unempfindlich gegen bestimmte Stoffe zu machen, indem man ihn in steigenden Konzentrationen an eine entsprechende, allergieauslösende Substanz gewöhnt. Die Neigung der Seele aber, die in einer körperlichen Empfindlichkeit auf etwas ihren Ausdruck findet, bleibt weiter bestehen und sucht sich möglicherweise eine andere körperliche Entsprechung. So kann z. B. die Sensibilisierung gegen Pferdehaare erfolgreich abgeschlossen sein, und im nächsten Jahr sind es dann die Katzenhaare, welche allergische Reaktionen auslösen.

So könnte man eine Desensibilisierungstherapie sinnvoll ergänzen, indem man das Kind etwas tun ließe, wozu ein feines Empfinden erforderlich ist. Dadurch würde ein Ausgleich zum körperlichen Desensibilisieren geschaffen. Das könnte z. B. durch das Erlernen eines Streichinstrumentes geschehen. Die Bögen, mit welchen diese Instrumente gestrichten werden, sind mit Pferdehaaren bespannt. Beim Üben würde das Kind lernen, auf allerfeinste Weise mit ihnen umzugehen.

aus:
Dr. med. Cornelia De Coster -Selinger
"Schöpferisch Heilen"
Beiträge zu einem therapeutischen Vademecum für den Entwicklungsweg der Kinder aus der Menschenkunde Rudolf Steiners.

Novalis Verlag +++ öS 343,-/ DM/SFr 44,- +++ ISBN 3-7214-0650-8

In dem Buch werden ca 60 Krankheitsbilder behandelt. Bei allen werden viele praktische Tips zur Selbsthilfe gegeben, aber auch Anregungen, sein Kind zu beobachten, in sich selbst hineinzuhorchen und den gesamten seelischen Bereich nicht auszuklammern. Mit einem Wort, ein guter Wegbegleiter für sein krankes Kind zu sein.
Grundlage der beschriebenen Methoden sind die menschenkundliche Betrachtungen der kindlichen Entwicklungsstufen, wie sie Rudolf Steiner aus der Anthroposophie entwickelt hat.

 

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