Bildbearbeitung: CyberMesh.
Das Photoshop-Plug-in hilft nicht nur bei der Umwandlung von Graustufendateien in Höhenlinien für 3D-Modelle, sondern auch bei der Klärung historischer Fragen.


Grabtuch-Analyse mit CyberMesh:

Das Photoshop-Plug-in zur Umwandlung von Graustufenbildern in 3D-Höhenlinien lässt sich auch für ungewöhnliche Aufgaben verwenden, zum Beispiel zur Analyse des Turiner Grabtuchs - bei dem es sich, so die Vermutung, um das von Jesus handeln könnte.



Das Grabtuch retuschiert:

Da eine Umwandlung mit CyberMesh auch die - im Negativ weißen Blutspuren und Falten sowie die Gewebestruktur in Höhenwerte umsetzen würde, haben wir diese Elemente behutsam retuschiert und das Bild weichgezeichnet. Das Gesicht ist nun klar erkennbar.



Die Umwandlung mit CyberMesh:

Die DXF-Datei aus CyberMesh öffneten wir in dem 3D-Programm Strata StudioPro und exportierten sie dann als schattiertes Relief.

Zu erkennen ist, dass die auf dem Tuch sichtbaren Abdunklungen der Entfernung zwischen Gesicht und Grabtuch entsprechen. Im Vergleich mit behandelten photographierten oder gemalten Bildern, erscheint das - nachträglich leicht weichgezeichnete - Gesichtsrelief realistischer.



Durch Schieben und Quetschen, Ziehen und Zupfen lässt sich eine Oberfläche in einem 3D-Programm so gestalten, dass sie den Vorstellungen des Gestalters entspricht. Auf ganz einfache Weise erledigt dies auch das Photoshop-Plug-in "CyberMesh", das Graustufenbilder in so genannte Höhenlinien eines dreidimensionalen Gitters umsetzt. Die Vorgehensweise ist schnell erklärt: Vorausgesetzt wird, daß helle Pixel dem Betrachter näher sind als dunkle, in dem dreidimensionalen Gitter liegen also Entsprechungen weißer Punkte ganz vorn und schwarzer ganz hinten, alle anderen befinden sich entsprechend dazwischen.

In der Regel setzt das Programm jeden Bildpunkt in ein Gitter-Element um. Da manche 3D-Programme jedoch bei mehr als 65.000 Polygonen aufgeben, lässt sich die Umsetzungsauflösung in mehreren Stufen bis auf 10 Prozent reduzieren. Als Werkzeuge stehen Lupe, Schiebehand und Rotations-Tool zur Disposition, als Darstellung lässt sich zwischen leerem und schattiertem Drahtgitter sowie Relief wählen. Schwarze Pixel lassen sich bei Bedarf auch als Löcher definieren. Ist der Anwender schließlich mit allen Werten zufrieden und das Preview entspricht seinen Vorstellungen, exportiert CyberMesh eine DXF-Datei in drei möglichen Varianten.

DasTuriner Grabtuch. CyberMesh eignet sich aber nicht nur für Konstruktionsverfahren der beschriebenen Art, sondern läßt sich auch als Analyseinstrument einsetzen. Geschichts- und Kunstwissenschaft befassen sich seit langer Zeit mit dem Grabtuch von Turin, einem spätestens seit Mitte des 14. Jahrhunderts bekannten Leinenstück, das schwach die Negativabdrücke eines Gekreuzigten zeigt. Eine Reihe von Indizien sprechen dafür, dass es sich bei dem Leinen um das Grabtuch Jesu handeln könnte.

Seit 1988 nach - fragwürdigen - Radiocarbonanalysen bekanntgegeben wurde, das Tuch sei eine Fälschung, sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen dieses Objekts immer wieder öffentlich diskutiert worden. Da Untersuchungen des Blutes die Vermutung zulassen, der eingewickelte Körper sei gar nicht tot gewesen, hätte ein Echtheitsbeweis des Turiner Grabtuchs erhebliche Auswirkungen auf die christliche Lehre.

Immer wieder wurde behauptet, bei dem Grabtuchbild handle es sich möglicherweise schlicht um ein Gemälde, doch zeigt dieses weder stilistische Parallelen noch Pigmentnachweise. Da beim direkten Abdruck einer Körperoberfläche ein erheblich verzerrtes Bild entstünde, erscheint dagegen die Theorie plausibel, dass es Ausdünstungen des mit Kräuteressenzen bedeckten Körpers gegeben haben könnte, die die farblichen Veränderungen der Leinenfasern hervorgerufen haben.

Die CyberMesh-Analyse. Unterschiedliche mikroskopische Textiluntersuchungen sprechen dafür, dass der Grad der Abdunklung des Grabtuchs proportional ist zum Abstand zwischen Körper und Tuch - je dichter das Leinen anlag, desto stärker die Schwärzung, die sich im Negativ als Aufhellung zeigt. Hier kann nun CyberMesh weiterhelfen, da es dreidimensionale Oberflächen genau auf dieser Basis (re-)konstruiert.

Um ein brauchbares Bild zu erhalten, wurde zunächst der Kontrast angehoben, die Falten und - im Negativ hellen - Blutspuren retuschiert und das Bild stark weichgezeichnet, um eine überlagernde Struktur durch Darstellung der Gewebefäden zu vermeiden. Das mit CyberMesh umgewandelte und in Strata Studio Pro geöffnete Dokument zeigt aus allen Richtungen eindeutig ein bärtiges, männliches Gesicht.

Dies wäre zunächst noch keine Widerlegung der These, das Körperbild sei auf das Leinen gemalt worden. Zum Vergleich behandelten wir daher zwei weitere Bilder entsprechend: das Photo eines frontal beleuchteten Gesichts und ein - wahrscheinlich auf der Grundlage des Grabtuchbildes - gemaltes Christusportrait des 6. Jahrhunderts.

Beide unterscheiden sich in der 3D-Darstellung ganz erheblich von dem hier gezeigten und ergeben nicht die Höhen- und Tiefenverteilungen eines Gesichts, da die Helligkeitswerte von Gemälden und Photos von Licht und Schatten, also nicht von Entfernungen, abhängig sind. Ein Bild wie das des Grabtuches ließe sich kaum ohne Computerhilfe herstellen; schon gar nicht im Negativ, das als Bildkonzept im Mittelalter unbekannt war.

 

Hans D. Baumann

Quelle: Zeitschrift "MACup" 9/94

Turiner Grabtuch Leitseite