Edgar Cayce (1877-1945) musste im Verlauf seines Lebens mit einer Reihe von kleineren und grösseren Krisen fertig werden. Als Teenager auf einem Bauernhof in Kentucky machte er die Entdeckung, dass er Teile eines Buches auswendig hersagen konnte, wenn er sie einmal durchlas, betete und dann über der Lektüre einschlief. Ein Landarzt, in dessen Tochter Cayce sich zu der Zeit verliebt hatte, erklärte dem kerngesunden jungen Mann daraufhin, dass diese Gedächtnis-leistungen Anzeichen einer Geisteskrankheit seien, die ihn impotent machen und schliesslich ins Irrenhaus bringen würde. Auf keinen Fall dürfe er heiraten! Natürlich war Cayce von dieser Prophezeiung tief getroffen und machte sich jahrelang ernste Sorgen.

Die Kunst durch
Lebenskrisen zu wachsen

Harmon H. Bro & June Avis Bro
aus den Lehren von
Edgar Cayce

Später zog Cayce einen florierenden Handel mit Schreibwaren und Versicherungspolicen in der Umgebung von Kentucky auf, verlor dabei aber für mehr als ein Jahr lang die Stimme. Sämtliche Hals-Nasen-Ohren-Ärzte von fern und nah erklärten die Krankheit für unheilbar, und in seiner Verzweiflung verdingte er sich schliesslich als Assistent bei einem Fotografen, um sein Leben als Stummer in irgendwelchen Dunkelkammern zu fristen. Später als er bereits zum Eigentümer einer Kette von Fotostudios geworden war, wurden seine Häuser dreimal hintereinander von Feuersbrünsten vernichtet. Er musste einen Konkurs anmelden, sämtlich Schulden über die Jahre hin zurückzahlen und wieder von vorn anfangen.

Er überwand die Ängste seiner Jugendjahre und heiratete, wonach die Krisen seines Familienlebens die vorherigen Verluste noch bei weitem überwiegen sollten. Das Ehepaar bekam ein Kind, das kurz nach der Geburt starb; das nächste Kind verlor sein Augenlicht bei einem Unfall, bei dem fotografisches Blitzlichtpulver explodierte. Cayces Frau erkrankte an Tuberkulose und starb beinahe daran.

Seine Stimme fand er schliesslich mit Hilfe von Selbsthypnose und Gebeten wieder. Doch mit der wiedergefundenen Stimme stellte sich auch eine ausserordentliche Hellsichtigkeit ein, was wiederum zu neuen Krisen führte. In den folgenden Jahren benutzte er seine Begabung, um körperliche Krankheiten zu diagnostizieren und Mittel zu verschreiben, ohne Geld dafür zu verlangen. Dann, wider besseres Wissen, versuchte er, die Ergebnisse von Pferderennen und an der Weizenbörse vorauszusehen, worauf er sein hellsichtiges Wissen prompt verlor. Er machte seinen Mangel an Integrität für den Verlust dieser rein spirituellen Gabe verantwortlich und zermürbte sich mit Selbstvorwürfen. Aber nach einem Jahr kehrten seine Fähigkeiten zurück, und danach konnte er sie erfolgreich bei medizinischen Diagnosen einsetzen, doch nie, wenn es darum ging, Geld durch so etwas wie Ölbohranlagen zu verdienen (ein Unternehmen, das ihm ein Krankenhaus für seine Patienten finanzieren sollte).

Am Ende wurde sein Krankenhaus von reichen Sponsoren finanziert und eine vielversprechende Universität ebenfalls, aber er verlor beides, als der Druck der amerikanischen Wirtschaftskrise auch für die Idealisten unter seinen Gönnern zu gross wurde. Dazu kommt noch, dass er zweimal kurz ins Gefängnis geworfen und öffentlich als Scharlatan angeprangert wurde, als er seine lebensrettenden Lesungen ausser Haus gab. Cayce war mit Krisensituationen so vertraut wie mit der eigenen Familie.

In all den Jahren seines Daseins als Helfer und Heiler blieb ihm die eigene Begabung ein Rätsel, ein Problem, das ihn ständig bewegte, denn wie konnte er anderen durch einen Vorgang helfen, den er selbst nie bewusst wahrnahm und nie vollends verstand - einen Vorgang, dessen Folgen er kam absehen konte? Die Mediziner und Wissenschaftler seiner Zeit gaben ihren Zweifeln an Cayces Aufrichtigkeit oder seiner geistigen Gesundheit öffentlichen Ausdruck, auch wenn keiner der vielen Experten nach kompetenter und gründlicher Untersuchung von Betrug oder Unfähigkeit in Cayces Fall sprach.

Zu den Schlägen, die ihm von aussen zugeteilt wurden, kamen die inneren Konflikte: Extreme Stimmungsschwankungen, Selbstzweifel, Gefühle starker Einsamkeit. Aufgrund seiner Fähigkeiten wurde er bewundert, teilweise sogar abgöttisch verehrt; andererseits hielt aber gerade diese Gabe die Mitmenschen fern, da jeder befürchtete, dem Hellseher könnte kein Geheimnis verborgen bleiben. Nachdem seine Biografie veröffentlicht wurde, zollte man ihm nationale Anerkennung, doch damit waren auch Tausende und Abertausende von neuen Hilferufen verbunden. Es herrschte Krieg, und jeder musste gewissse Opfer bringen, aber Cayces unermüdliches Streben, dem Heer der Notleidenden zu helfen, zehrte an seinen Kräften und kostete ihn schliesslich das Leben.

Allein die Tatsache, dass Cayce ungewöhnliche Schwierigkeiten im Leben überwunden hat, macht ihn allerdings noch nicht zu einer Autorität in der Kunst der Kirsentransformation. Erst sein ernsthaftes Bemühen, tagtäglich zu leben, was er im Trancezustand sah, und die Lehren der Bibel in die Tat umzusetzen, gibt seinen Worten die notwendige Authentizität und Tiefe. Wer Cayce selbst kennengelernt hat, weiss wie sehr er sich bemüht hat, den eigenen Einsichten zu folgen, auch wenn er damit nicht immer den gewünschten Erfolg hatte - wie jeder von uns. Sicher haben persönliche Schicksalsschläge dazu beigetragen, diesen Mann auf einer tiefen, unbewussten Ebene für das Leid anderer zu öffnen, denn die Intelligenz, die bei einer Trance durch ihn sprach, war ebenso mitfühlend wie schöpferisch inspiriert.

Auszug aus dem Buch
"Die Krise des Selbst"
Harmon H. & June Avis Bro
Heyne Verlag

 

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