Viele Menschen haben Schwierigkeiten mit dem Essen und der Ernährung. Man denke nur an die zahllosen Abmagerungsdramen, Essstörungen und die ewige Suche nach der "besten" Ernährungsweise. Obwohl es Unmengen von Büchern und Zeitschriften zu diesem Thema gibt, findet man nur wenige Veröffentlichungen, die die Ernährung in den grösseren Kontext der persönlichen, spirituellen und spychologischen Entwicklung des Menschen stellt und die geistige Komplexität des Essers in gebührendem Masse berücksichtigt.

"Essen mit Leib und Seele"

Psychologische und spirituelle
Aspekte der Ernährung

 

Der Mensch besteht nicht bloss aus einem physischen Körper. Vielmehr sind wir Seelen, die sich in Elemente der Erde gekleidet haben. Der Körper dient als heiliges Gefäss für den Göttlichen Funken, unterliegt jedoch den materiellen und biologischen Gesetzen dieser Erde.

Wenn wir den Körper mit Freude und Ehrfurcht ernähren, speisen wir auch den Lebensfunken im Körper. Und wenn der Körper schliesslich krank wird und verfällt (was auch die grössten Mengen an Gemüse und Vitaminen nicht verhindern können), sind wir um die Erkenntnis reicher, dass eine gute Ernährung zwar wichtig ist, uns jedoch nur zur einem bestimmten Punkt und nicht weiter bringen kann.


Ausschlaggebend ist letztlich die Nahrung, die Herz und Seele nährt.

Natürlich ist es wichtig, die besten Nahrungsmittel für den Körper auszuwählen und einer Ernährungsphilosophie zu folgen. Doch was ist die "richtige Ernährung"? Ernährungsratschläge und -richtlinien kann man fast überall erhalten. Besser jedoch ist es, eine eigene, individuelle "Ernährungsweisheit" zu entwickeln.


Es gibt keine allgemeingültige "richtige Nahrung"

Körperliche Veränderungen erfordern Kostveränderungen. Wir haben in diesem Leben nicht bloss einen Körper, sondern viele. Und jeder Körper benötigt eine andere Ernährungsweise. Die Bedürfnisse eines Babys bspw. sind nicht mit denen eines Teenagers zu vergleichen. Fünf Schlüsselfaktoren beeinflussen die körperlichen Veränderungen und damit die Ernährung: Lebensweise, Umgebung, Jahreszeit, Alter und Gesundheit. Diese Faktoren wirken kontinuierlich zusammen und gestalten dadurch unsere emotionalen und biologischen Bedürfnisse laufend neu.

1. Lebensweise

Veränderungen der Lebensweise führen zu Ernährungsveränderungen. Ein Mensch, der beispielsweise den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt, wird körperlich kaum gefordert, der Stoffwechsel verlangsamt sich und der Kalorienbedarf sinkt. Mit anderen Worten: er braucht weniger zu essen. Würde derselbe Mensch zu einer Tätigkeit als Bauarbeiter überwechseln, würde der Kalorien- und Nährstoffbedarf automatisch wachsen und der Appetit entsprechend zunehmen. Die Körperchemie verändert sich je nach Belastung drastisch.

Menschen, die unter starkem Stress arbeiten oder einer langweiligen Tätigkeit nachgehen, stellen oft fest, dass sie hungriger sind als andere; das Essen dient dann dazu, sie zu beruhigen oder anzuregen, weil sie unausgefüllt sind. Ist derselbe Mensch mit ganzem Herzen bei der Sache, spürt er unter Umständen stundenlang keinen Hunger.

2. Die Umgebung

Wenn wir die Nahrung essen, die eine bestimmte Region zu bieten hat, verbinden wir uns mit dieser Region. Ebenso wie sich ein altes Haus etwas von den Erinnerungen und Eigenarten der Menschen bewahrt, die einmal dort gewohnt haben, so hat auch die Nahrung etwas vom Wesen der Gegend, aus der sie stammt. Herz, Seele und Charakter des jeweiligen Landstrichs sind in ihr enthalten. Die Nahrung ist also ein Teil unserer Umgebung. Wenn wir unsere Umgebung wechseln (sei es durch Umzug oder jetzt im Zeitalter der Vernetzung durch "Import") verändern wir uns mit. Selbstverständlich haben diese Kostveränderungen auch eine ganz persönliche Note: Wir lassen uns von den Menschen, der Kultur und dem Reiz einer neuen Umgebung beeinflussen. Wir "verleiben uns Neues ein".

3. Die Jahreszeit

Der Zyklus der Jahreszeiten hat einen gravierenden Einfluss auf die körperlichen Bedürfnisse. In den warmen Frühlings- und Sommermonaten erwärmt die Sonnenenergie den Körper, so dass wir mit Hilfe des Verdauungsprozesses weniger innere Hitze erzeugen müssen. Deshalb nimmt unser Appetit ganz von selbst ab. Im Winter hingegen verlangsamt sich der Stoffwechsel wieder, da bei Kälte die Mechanismen zur Regulierung der Körpertemperatur stark beansprucht werden. Während dieser Zeit wächst der Appetit von selbst. Der Körper braucht mehr Kalorien, um die Körpertemperatur normal zu halten. Die meisten Menschen merken das an ihrer plötzlichen Lust auf heisse Speisen und Suppen, oder auch an einer plötzlichen Vorliebe für fett- und eiweissreiche Nahrungsmittel.

4. Das Alter

Im Verlauf der ersten Lebensjahre geht unsere Ernährung von der Nährstoffaufnahme durch die Nabelschnur zur Muttermilch und dann zum Brei über. Danach verlangt der Körper nach komplexem Essen, um das Verdauungssystem zu voller Funktion anzuregen und den wachsenden Nährstoffbedürfnissen des Kindes gerecht zu werden. Die Verwandlung von Körper und Kost hält bis ins Erwachsenenleben an.

5. Die Gesundheit

Der letzte Schlüsselfaktor, der die Ernährung beeinflusst, ist die Gesundheit. Bei allgemeinen Erkrankungen (Erkältung, Grippe, Magenverstimmung) stellen wir meist von selbst unsere Nahrung um. Wir haben einmal mehr, einmal weniger Appetit, und greifen vielleicht zu altbewährten Ernährungsweisen, indem wir Tees, Suppen, Zwieback usw. zu uns nehmen.

Diese fünf Faktoren wirken zusammen und haben eine ständige Ernährungsveränderung zur Folge. Die Angst, sich je nach den wechselnden Bedürfnissen des Körpers auf neue Nahrung umstellen zu müssen, ist wahrscheinlich symptomatisch für allgemeine Angst vor Veränderungen. Ernährung ist eine Entdeckungsreise und ein fortlaufender Lernprozess.


Die drei Körperphasen

Viele esoterische Heilsysteme gehen davon aus, dass der Körper zyklisch drei deutlich unterscheidbare Phasen durchläuft: Reinigung, Aufbau, Erhaltung.

Die Reinigungsphase ist eine Zeit, in der der Mensch Hausputz hält und sich auf biologischer Ebene von Giftstoffen, im emotionalen Bereich von überholten Gewohnheiten und im mentalen Bereich von destruktiven Gedanken befreit.

Die Aufbauphase ist eine Zeit des Wachstums, in der der Körper aufblüht. Der Stoffwechsel läuft auf Hochtouren und alles, was im Verlauf des Reinigungsprozesses abgebaut wurde, wird nun erneuert.

In der dritten Phase geht es dem Körper um die Erhaltung seiner Funktionen. Der Stoffwechsel pendelt sich zwischen Reinigung und Aufbau ein. Viele Menschen erleben diese Zeit als körperlich und emotional ausgeglichen.

Viele der angebotenen Diätformen/Ernährungsweisen legen ihr Schwergewicht auf eine Phase und sind in gewisser Weise einseitig.

Wann immer Menschen leidenschaftlich für eine bestimmte Ernährungsweise eintreten, bezwecken sie meistens auch, dass die dazugehörige Weltanschauung "geschluckt" wird.


Du isst, was du bist

Die alte Redensart: "Du bist, was du isst" ist nur halbwahr. Vollständigkeitshalber muss man hinzufügen: Du isst, was du bist. Denn unsere mentalen Muster, unsere Lebenseinstellungen bestimmen unsere Nahrungsmittelauswahl, was entsprechende körperliche Auswirkungen hat. Eisenmangel z. B. äussert sich unter anderem als Müdigkeit, Schwäche, Antriebslosigkeit, Melancholie und ein Gefühl der Hilflosigkeit. Leiden Menschen unter Anämie, weil sie mit ihrer Nahrung zuwenig Eisen zu sich nehmen, oder sind sie von vornherein melancholisch veranlagt und pflegen eine Ernährungsweise, die diesen Zustand aufrechterhält?

Die Einstellung isst mit

Nichts ist von Natur aus schlecht oder böse. Der Wert wird dadurch bestimmt, wie wir damit umgehen. Im Laufe der Zeit haben wir dem Essen und einzelnen Nahrungsmitteln gewisse moralische Werte zugeschrieben.

Wenn wir etwas essen, das angeblich "schlecht" ist, und dabei Schuldgefühle haben oder glauben, uns damit nichts Gutes zu tun, wird diese Nahrung mit Sicherheit wenig Nährwert haben - im Essen enthaltene Schadstoffe werden doppelt stark wirken, weil die Angst hinzukommt. Wird hingegen das gleiche Essen als Fest empfunden, hat es mit ziemlicher Sicherheit eine völlig andere Wirkung auf den Körper. Ebenso können sich die gesündesten Nahrungsmittel als ungesund erweisen, wenn sie aus Angst gegessen werden, statt aus Appetit.

Doch unsere Einstellung beeinflusst nicht nur die Nahrungsauswahl, sondern auch die Art wie wir essen. Viele Leute kauen nicht richtig und schlucken das Essen unzerkleinert hinunter. Das verdeutlicht eine Lebenseinstellung, die den Lebenshunger gestillt haben möchte, jedoch nicht bereit ist, etwas dafür zu unternehmen. Ausserdem wird durch mangelhaftes Kauen ein natürliches Ventil für die Aggressivität ausser Kraft gesetzt.

Nahrungsmittel moralisch zu bewerten hat eine tiefgreifende Auswirkung, denn wir unterdrücken damit den natürlichen biologischen Informationsfluss. Wenn Sie im Geiste zu dem Schluss gekommen sind, dass Schokolade schlecht sei, haben Sie diese Erfahrung im Körper noch gar nicht gemacht. Aber wenn wir ohne moralische Vorurteile an die Nahrung herangehen, sind wir offen für ihre körperliche Erkundung. Welchen Einfluss hat Schokolade auf meinen Energiepegel? Hat Schokolade einen günstigen Einfluss auf meinen Körper? Usw.

Indem wir auf das Feedback unseres Körpers achten und unserer Nahrung Offenheit und Aufmerksamkeit schenken, können wir zwischen unserem Essen und Befinden allmählich Zusammenhänge erkennen und Schlüsse daraus ziehen. So erhalten wir Informationen über unsere Nahrungsbedürfnisse, die kein Buch uns geben kann.

Ein jeder sucht auf seine ureigene Weise und zu seiner Zeit nach einer Nahrung, die seinem wahren Wesen entspricht und ein Ausdruck dessen ist, wie er sein Leben erfahren möchte.

Jede Ernährungsart kann auf einer tieferen Ebene satt machen, solange die wichtigste Zutat dabei ist: das Bewusstsein. Eine Möglichkeit, dieses Bewusstsein stärker zu verankern mag für einige Menschen der kurz skizzierte Weg des Essens mit Leib und Seele sein.


Essen mit Leib und Seele in fünf Schritten

Schritt eins: Treffen Sie eine bewusste Entscheidung zum Essen

Horchen Sie nach innen, ob Sie überhaupt Hunger haben. Dann treffen Sie die Entscheidung, ob Sie essen wollen oder nicht. Wenn Sie beschliessen, etwas zu essen, dann tun Sie es ohne inneren Widerstand und ohne das Gefühl, sich bestrafen zu müssen.

Schritt zwei: Fragen Sie Ihren Körper, was er haben will

Wenn Sie sich zum Essen entschlossen haben, sollten Sie bewusst auswählen, was Sie essen wollen. Fragen Sie mit ruhigem, entspanntem Geist Ihren Körper, worauf er Hunger hat, und bitten Sie ihn, sich präzise auszudrücken.

Machen Sie sich keine Sorgen, dass Sie "falsche" Antworten erhalten könnten. Sie wissen, es kommt weniger darauf an, das "Richtige" zu essen, als darauf, das einmal Gewählte von ganzem Herzen zu essen.

Schritt drei: Essen Sie mit innerer Achtsamkeit

Dies ist der Kernpunkt des Essens mit Leib und Seele: Seien Sie ganz dabei, wenn Sie essen. Machen Sie sich Ihre Mahlzeit zu einem wirklichen Erlebnis. Schmecken Sie. Lassen Sie sich das Essen auf der Zunge zergehen. Achten Sie auf alle Sinneswahrnehmungen. Führen Sie sich auch das Ambiente zu Gemüte, die Farben, die Aromen. Ihre Tischnachbarn. Verleiben Sie sich das ganze Erlebnis ein. Was immer Sie auch essen und welche Ernährungsphilosophie Sie auch haben mögen, mit innerer Achtsamkeit essen Sie "richtig".

Schritt vier: Achten Sie auf das Feedback

Entspannen Sie sich ein paar Minuten nach Beendigung Ihres Mahls. Lernen Sie etwas aus der Mahlzeit, indem Sie darüber nachdenken, was Sie gegessen und wie Sie gegessen haben. Spüren Sie dem Gefühl nach, das das Essen in Ihrem Körper hinterlässt. Registrieren Sie jede Information, die Sie erhalten, und nehmen Sie sich einfach nur zur Kenntnis.

Schritt fünf: Lösen Sie sich wieder vom Essen

Nachdem Sie auf das Feedback zum Essen gehorcht haben, sollten Sie sich die Zeit nehmen, es ankommen zu lassen. Nehmen Sie sich die Musse, die Nahrung zu "assimilieren".

Üben Sie sich dann bewusst darin, sich vom Essen zu lösen, sobald Ihre Mahlzeit beendet ist. Fragen Sie sich: "Was kommt als nächstes?" Wenn Sie das, was als nächstes an der Reihe ist, von ganzem Herzen tun, findet der Geist kaum Möglichkeit, wieder zum Essen zurückzuwandern.

Nahrung ist nicht gleichbedeutend mit Essen. Vielmehr ist es das Seelische, worauf es beim Essen ankommt. Was uns Nahrung gibt, ist unsere Beziehung zum Essen, unsere Teilnahme am kulinarischen Erkundungsprozess, das Staunen, die Freude . . . .

entnommen aus:
Marc David
Vom Segen der Nahrung
Psychologische und spirituelle Aspekte der Ernährung
Ansata Verlag, öS 256,- / DM /SFr 32,80, ISBN 3-7157-0162-5